Karl Fruchtmann

Karl Fruchtmann, 1930er Jahre (Quelle AdK Karl Fruchtmann Archiv, Nr. 0713 001)

Karl Fruchtmann war ein bedeutender, aber heute weitgehend vergessener Autor, Regisseur und Filmemacher. Er setzte sich in seiner künstlerischen Arbeit neben literarischen Stoffen auch mit den Nachwirkungen der Shoah auseinander.

Als drittes von sechs Kinder wurde Karl Fruchtmann als Karl Strussmann am 10. Dezember 1912 im thüringischen Meuselwitz geboren. Fruchtmanns Eltern waren eingewanderte Juden aus Polen, die in Meuselwitz eine Anstellung fanden. Sie selbst waren den jüdischen Traditionen verbunden, jedoch nicht im orthodoxen Sinn. Beide heirateten 1913. Der von den Eltern 1907 eröffnete Laden entwickelte sich zu einem florierenden kleinen Kaufhaus mit zwei Verkaufstellen. Das Sortiment umfasste Textilien, Möbel und Einrichtungsgegenstände. Die Familie erhielt 1928 schließlich die deutsche Staatsbürgerschaft. Den Namen Fruchtmann, den die Familie bereits seit der Einwanderung nutzte wurde nun offiziell behördlich bestätigt.

Nachdem Karl Fruchtmann seit 1922 die Volksschule in Meuselwitz besucht hatte, wechselte er 1932 an die freie Schulgemeinde Wickersdorf, einem reformpädagogischen Schulprojekt.
In dieser Zeit politisierte sich Fruchtmann zunehmend, stand dem kommunistischen Jugendverband nahe und verstand sich selbst als sozialistischer Antifaschist.

Die Familie Fruchtmann war der nationalsozialistischen Verfolgung von Juden von Beginn an ausgesetzt. So kam es am 1. April 1933 im Rahmen des reichsweiten Boykotts jüdischer Geschäfte zum Aufmarsch von SA und der NS Betriebszellenorganisation (NSBO) vor dem Kaufhaus. Bemerkenswert waren die Solidaritätsbekundungen der Meuselwitzer, die sich in Protesten vor dem Kaufhaus gegen diese Gewaltmaßnahmen äußerten.
In Folge der psychischen Belastungen erleidet der Vater einen Schlaganfall und verstirbt am 18. April 1933. Die Meuselwitzer kaufen weiter im Kaufhaus ein, um ihre Solidarität zu bekunden.

Karl Fruchtmanns Brüder Max und Benno führen die Geschäfte weiter. Durch sein politisches Interesse und Kontakte gerät Karl Fruchtmann in den Fokus der Gestapo, welches ihn schließlich zur Emigration nach Frankreich zwingt. In Zürich legt er 1936 sein Abitur ab. Auf Bitten seines Bruders kehrt er jedoch nach Deutschland zurück und meldet seinen Wohnsitz im Mai 1936 in Meuselwitz an. Wenige Wochen später wird er und sein Bruder Max verhaften und im Juli 1936 nach Sachsenburg verschleppt. Von dort werden sie am 9. Februar 1937 nach Dachau verbracht. Währenddessen erwägen die Geschwister den Verkauf des Geschäftes, um aus Deutschland ausreisen zu können. Max und Karl Fruchtmann werden aus dem Lager entlassen, um die Verkaufsverträge als Mitgesellschafter zu unterzeichnen. Dabei erhält Karl Fruchtmann die Auflage innerhalb kürzester Zeit Deutschland zu verlassen. Am 2. Juli 1937 meldet er sich in Meuselwitz ab und wird an seinen Heimatort nie wieder zurückkehren.

In Palästina angekommen, verdient er sich seinen Unterhalt mit Gelegenheitsarbeiten. Sein Verhältnis zu Palästina beschreibt er später immer als ablehnend, die Erfahrung der Shoah jedoch habe ihm den Gedanken des Zionismus näher gebracht. Die palästinensische Staatsbürgerschaft erhält er 1946/47.
Nach Gründung des Staates Israel tritt er der Luftwaffe der israelischen Armee bei und ist dort bis zu seinem Wechsel zur israelischen Luftfahrtgesellschaft 1950 tätig. Innerhalb von El Al übernimmt er die zentrale Leitung und die Aufsicht über die technischen Magazine in den weltweit ansässigen Filialen der Fluglinie. Seine Karriere führt ihn schließlich 1953 nach London, wo er die Aufgaben des Direktors für die Verwaltung und Finanzen in Großbritannien übernimmt. In dieser Zeit lernt er die kanadische Malerin Jane Clothier kennen. Sie heiraten 1957 und ziehen die gemeinsamen Kinder Sara, Martha und Jakob groß.

Zunächst mit dem Anliegen einige finanzielle Dinge, die vor allem Wiedergutmachungen betreffen zu regeln reist Karl Fruchtmann 1958 nach Deutschland. Gegenüber seinem einstigen Heimatland empfindet er nun „Distanziertheit, Misstrauen, Entfremdung“. Trotzdem beantragt und erhält er schließlich 1959 zunächst für fünf Jahre und ab 1971 zeitlich unbegrenzt die deutsche Staatsbürgerschaft zurück. Die Entscheidung für eine Rückkehr hing möglicherweise mit seinem Wunsch nach einer beruflichen Neuorientierung zusammen, für die sich in Deutschland eine Gelegenheit ergab: Seit seiner Jugend hatte ihn der Traum begleitet einmal im Filmsektor zu arbeiten. Durch persönliche Empfehlungen gelang es ihm beim WDR und NWRV (Nord-West-Deutscher Rundfunkverband) tätig zu werden.

Karl Fruchtmann, Ende der 1960er Jahre (Quelle: AdK Karl Fruchtmann Archiv, Nr. 0078 004)

Es entstehen erste Entwürfe für Drehbücher, in denen er sich intensiv mit den Nachwirkungen des Holocaust auseinandersetzt. Sein Debüt als Regisseur feiert er 1962 mit dem beim WDR ausgestrahlten Film „Das Abschiedsgeschenk“. 1969 wird der Film „Kaddish nach einem Lebenden“ ausgestrahlt, der die Folgen der Shoah auf die israelische Gesellschaft in den 1950er und -60er Jahren reflektiert.

Die Auseinandersetzung mit dem Holocaust setzt er im Filmprojekt „Zeugen“ am 1979 fort. Er interviewt hier Zeugen des Holocaust. Eine Dokumentation widmete sich im Januar 2021 dieser intensiven Arbeit. „Zeugen“ wird 1981 ausgestrahlt.

Ausgezeichnet wird Karl Fruchtmann 1988 mit Gold beim Adolf Grimme Fernsehpreis für die Buch- und Regiearbeit am Film „Ein einfacher Mensch“. Ein Jahr später erhält er die Senatsmedaille für Kunst und Wissenschaft der Freien Hansestadt Bremen für seinen kritischen Autorenfilm. Sein letzter Film „Ein einzelner Mord“ wird 1999 ausgestrahlt.

Am 10. Juni 2003 stirbt Karl Fruchtmann 87-jährig in Bremen. Sein Nachlass wird an die Akademie der Künste übergeben. In Auseinandersetzung mit diesen Dokumenten wird von Torsten Musial und Nicky Rittmeyer 2019 die Aufsatzsammlung „Karl Fruchtmann. Ein jüdischer Erzähler“ veröffentlicht. Die dort veröffentlichte ausführliche Chronik bildete die Basis für den Beitrag.

Text: Anna Schüller
Fotografien: Karl Fruchtmann Sammlung im Archiv der Akademie der Künste, Berlin

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