Wanderung von Frankenberg nach Sachsenburg

Diese Wanderung wurde im Mai 2019 im Rahmen der Landesgartenschau und gefördert durch die Stiftung Sächsische Gedenkstätten durchgeführt. Sie zeigte die engen Verbindungen des Konzentrationslagers Sachsenburg mit der Kleinstadt Frankenberg auf. Die gesammelten Informationen wurden aus den Unterlagen unterschiedlicher Archive, aus Büchern und Zeitzeugenberichten zusammengetragen.

Die kleine Wanderung wird hier zum Nachtwandern veröffentlicht und lädt dazu ein, sich auf die Spuren der Geschichte des Konzentrationslagers Sachsenburg zu begeben.

Zeit: 1 – 1,5 Stunden

Niveau: leicht, v.a. bergab, keine Anstiege

Zunächst bewegt man sich durch die Stadt Frankenberg, bevor man am Schilfteich vorbei auf dem Damm Richtung Sachsenburg wandert. Die Wege und Straßen sind meist asphaltiert oder befestigt und eignen sich auch für das Radfahren.

Quelle: OpenStreetMap

 

Station 1: Bahnhof

Die erste Station beginnt am Bahnhof Frankenberg. Man kann dort das Auto abstellen oder mit der Citybahn von Chemnitz anreisen.

Am 11. März 1937 kamen auf dem Frankenberg Bahnhof eine Gruppe von ca. 600 Häftlingen an. Dieser große Häftlingstransport hing mit einer damals reichsweiten Verhaftungsaktion am 9. März 1937 zusammen. An diesem und den folgenden Tagen wurden insgesamt 2000 Menschen verhaftet und in die Konzentrationslager Dachau, Lichtenburg, Moringen, Sachsenburg sowie Sachsenhausen verbracht. Bei dieser Verhaftungswelle hatten die Nationalsozialisten die von ihnen bezeichneten “Berufsverbrecher” im Visier.  Als “Berufsverbrecher” definierten die Nationalsozialisten diejenigen Menschen, die in ihren Augen von ihren Verbrechen gelebt hatten oder diese zu einem Gewerbe gemacht hatten. Wer wiederholt straffällig geworden war, galt als “Gewohnheitsverbrecher”. Homosexuelle Männer und Zuhälter wurden als “Sittlichkeitsverbrecher” eingestuft.  Diese genannten Gruppen verfolgten die Nationalsozialisten jedoch vor einer eigentlichen Straftat, d.h. die Einsperrung erfolgte nicht wegen einer strafbaren Handlung, sondern noch vor einer vermeintlich nächsten Tat. Dies nannte man “Vorbeugende Verbrechensbekämpfung”. Die Menschen hatten jedoch bereits für ihre zuvor begangenen Taten Strafen in Gefängnissen abgebüßt.  1937 verhafteten die Nationalsozialisten flächendeckend alle Menschen, die sie in diese Kategorie einordneten. Dazu gehörten Menschen, die schon einmal einen Diebstahl oder Raub,  Münz- und Gewaltverbrechen begangen hatten oder aber bei denen Waffen gefunden wurden oder die Widerstandsleistung unternommen hatten. Mörder wurden nicht verhaftet. Wer ein “Berufsverbrecher” war, konnte demnach sehr weit ausgelegt werden.

 

“Am 11. März 1937, abends zwischen 7 bis 8 Uhr, wurden die Bahnhofstraße und die nach Sachsenburg führende Straße für jeden Verkehr gesperrt. Alle Anlieger wurden aufgefordert, die Fenster zu schließen und sich von den Fenstern zu entfernen. Es liefen zwei Züge auf dem Frankenberger Bahnhof ein, die ca. 600 Gefangene mit Begleitmannschaften brachten. Die Gefangenen waren zum Teil Mann an Mann mit Handfesseln verbunden. Nachforschungen ergaben, dass die Gefangenen aus dem Rheinland und aus Lichtenburg gekommen waren. SS-Männer erzählten, dass jetzt eine Auswechselung der Zuchthäusler mit den Schutzhäftlingen vorgenommen würde. Es stünde in kurzer Zeit der Besuch von Ausländern zu erwarten, denen man zeigen wolle, dass im KZ-Lager Sachsenburg nur Berufsverbrecher untergebracht seien. Man kann annehmen, dass z. Zt. in Sachsenburg mit den Neuangekommenen wieder etwa 1.300 Menschen untergebracht sind.”
Aus den Deutschland-Berichten der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Sopade) 1934- 1940. Vierter Jahrgang 1937. Frankfurt/M. 1980, S. 708f..

Die “Aktionshäftlinge”, die von nun an in Sachsenburg inhaftiert waren, stammten zu einem großen Teil aus dem Rheinland (600 Menschen) und zu einem kleineren Teil aus Sachsen (130 Menschen). Sie waren mit insgesamt 730 Menschen 1937 die größte Gruppe im Konzentrationslager Sachsenburg zu diesem Zeitpunkt. Die Forschungen zu den Einzelschicksalen sind noch am Anfang. Aus einzelnen Biografien wird deutlich, dass sie meist von Sachsenburg nach Sachsenhausen, dann nach Buchenwald und später nach Flossenbürg verlegt worden sind. Ob dies für die Mehrzahl der Häftlinge dieser Gruppe zutrifft, kann aktuell noch nicht sicher festgestellt werden.

Über die Ankunft anderer Häftlinge am Frankenberg Bahnhof ist bisher wenig bekannt. Aus einzelnen Akten wurde deutlich, dass meist in Chemnitz aus größeren Transporten Häftlinge herausgenommen und mit Autobussen nach Sachsenburg verbracht worden sind.

 

Station 2: Lerchenstraße 19

Hier befand sich seit Ende 1935/ Anfang 1936 die Kaserne des SS-Totenkopfverbandes Sachsen. Das Gebäude wurde 1913 von den Architekten Zapp und Basarke gebaut und beherbergte eine Zigarrenfabrik der Großeinkaufsgesellschaft Deutscher Konsumvereine Hamburg. Ein eigenes Arbeitskommando von Häftlingen baute die Fabrik dann zur Kaserne um. Dies ermöglichte, dass noch mehr SS-Männer in Sachsenburg und Frankenberg stationiert werden konnten. Karl Otto Koch hatte das SS-Sonderkommando Sachsen in Dresden aufgebaut, welches dann 1934 nach Sachsenburg verlegt wurde.  Es wurde im März in III. SS-Totenkopfsturmbann Sachsen umbenannt. Im Januar 1936 waren in Frankenberg und Sachsenburg über 623 Wachmänner stationiert. Diese jungen, oft 20-jährigen Männer standen zumeist am Beginn ihrer “Karriere” in den Konzentrationslagern.

In Sachsenburg erhielten sie eine militärische Ausbildung unter Max Simon, die sich mit regelmäßigem Wachdienst im KZ Sachsenburg abwechselte. Aufgrund der Größe wurden sie in mehrere Hundertschaften eingeteilt, die abwechselnd unterschiedliche Aufgaben und Ausbildungenteile zu absolvieren hatten. Während des Wachdienstes waren die diensthabende Hundertschaft der SS-Männer in Sachsenburg untergebracht. In der übrigen Zeit in der Kaserne in Frankenberg. SS-Anwärter wurden mit 65 Reismark entlohnt, SS-Unterscharführer erhielten 125 RM. Dazu bekamen sie Unterkunft, Bekleidung und Verpflegung. Nach der Übernahme des Lagers durch die SS im Herbst 1934 wurden die Haftbedingungen für die Häftlinge wesentlich härter. Manche der SS-Hundertschaften waren unter den Häftlingen für ihre Brutalität besonders gefürchtet.

 

Station 3: Markt

Der Frankenberger Markt steht für beispielhaft für die enge Verbindung zwischen dem Lager Sachsenburg und der Kleinstadt Frankenberg. Die Häftlinge waren im Stadtbild von Frankenberg nicht “unsichtbar”, so bauten die Häftlinge u.a. die Siedlung Lützelhöhe. Auch wurden in Folge von Misshandlungen oder schweren Verletzungen während der Zwangsarbeit Häftlinge im Frankenberger Krankenhaus behandelt, so zum Beispiel Oscar W., der am 11. Oktober 1935 nach Frankenberg gebracht wurde.

Aber auch die Frankenberger Stadtbevölkerung profitierte vom Lager. So hatte der Arzt Dr. Bellmann, der in der Humboldtstraße seine Praxis hatte, einen Vertrag mit dem Lager geschlossen. Er sollte dort regelmäßige Sprechstunden abhalten. Die Häftlinge berichten jedoch, dass er nie erschienen sei. Auch die SS präsentierte sich ab 1934 regelmäßig im Stadtbild von Frankenberg und marschierte regelmäßig auf dem Marktplatz auf.

Station 4: Hainicher Str. 6

Hier befand sich das Amtsgericht von Frankenberg. In diesem Amtsgericht fanden regelmäßig Vernehmungen oder Verurteilungen  von Sachsenburger Häftlingen statt.

“Schutzhaft” bedeutete zunächst, dass die Häftlinge ohne ein Urteil in das KZ Sachsenburg gebracht wurden. Erst während ihrer Inhaftierung fanden Vernehmungen und Verurteilungen in Polizeigefängnissen und Gerichten statt. Meist wurden sie nach ihrer Verurteilung wieder im Konzentrationslager inhaftiert.

Einige Vernehmungen fanden im Frankenberger Amtsgericht statt. Dazu wurden die Häftlinge von Sachsenburg nach Frankenberg verbracht.

 

Station 5: Schilfteich

Der Schilfteich war damals wie heute ein Teil des Freizeitvergnügens vieler Frankenberger Einwohner. Einige dieser Freizeitanlagen dort wurden von Häftlingen des KZ Sachsenburg errichtet. So kann man in vielen Berichten nachvollziehen, dass die Häftlinge in der Umgebung des Lagers Wanderwege und Freizeitanlagen errichten mussten.

Quelle: OpenStreetMap

 

Station 6: Öffentlichkeit des Lagers

Auch damals wanderten viele Familien von Frankenberg nach Sachsenburg entlang der Zschopau auf dem Damm. Dort kamen sie in die unmittelbare Nähe des Lagers. Am Fuße des Schlosses Sachsenburg angekommen, befand sich ein neu errichteter Parkplatz. An der Wand des Parkplatzes wurde die Inschrift “Erbaut von den Inhaftierten Sachsenburg 1933” angebracht. Sie macht deutlich, dass das Lager nicht geheim gehalten wurde. Dieser Hinweis diente auch der Abschreckung.

Am 8. September 1935 beschreibt Rosemarie Sacke nach einem kurzen Besuch ihres inhaftierten Mannes, Georg Sacke in einem Brief ihren Eindruck als sie sich dem Lager näherte. Einen Eindruck den sicher auch die Wanderer der Umgebung immer wieder wahrnahmen:

„ich sitze im Zug und werde gleich zu dir fahren. […] Der Zug schüttelt so und ich freue mich so schrecklich. Da kann ich gar nicht schreiben. Auf der Heimfahrt wird es besser gehen. – Nein, es geht nicht besser. Nun sind die wenigen Minuten, auf die ich mich 5 Tage lang gefreut habe, schon wieder vorbei. […] Es ist auch gut, dass ich das Milieu kenne, in dem du lebst. Gartenhüte, Badehosen u. Sportunterhosen passen da freilich nicht herein. […] Wenn man in die Nähe euers Lagers kommt, hört man immer das Singen. Das macht einen sehr seltsamen Eindruck.“

Die Inschrift heute

 

 

Station 7: Tor am KZ

Am Ende der Wanderung sind wir am Tor des Lagers angelangt. Viele Familien machten sich 1933 auf den Weg, um ihre Männer im Lager zu besuchen. Diese Besuche waren ab 1934 nur noch auf Antrag beim Geheimen Staatspolizeiamt möglich und wurden nur selten stattgegeben. Welchen Aufwand und welche Mühen die Familien auf sich nahmen, in der Ungewissheit, ob sie ihren Mann bzw. Vater sehen würden beschreibt Jochen Kretzschmar, dessen Vater im KZ Sachsenburg inhaftiert war:

„Mein Vater war in KZ Osterstein (…) Und dann ist der ganze Trupp, hauptsächlich Plauener, damals von Osterstein (…) nach Sachsenburg gegangen. Es waren sehr viele Plauener damals gewesen und wo wir das erfahren haben, hat meine Mutter gesagt: So, wir fahren einmal hin und schauen wo das ist.“ Bei meinem Vater seiner Schwester in Chemnitz haben wir übernachtet. Und sind dann früh, den späten Abend, es war schon duster, mit dem Bus ein Stück raus gefahren und dann das Zschopautal lang gelaufen. Es hat in Strömen geregnet, das weiß ich noch heute. Und dann haben wir schon von weitem das große Gebäude gesehen. Dort war ein großes Tor. Dort haben wir geklopft. Und da war oben ein kleines Fenster, ein kleines Guckfenster. Da schaute einer von der SA raus. (…) Da hat meine Mutter vorgebracht, was sie will: Sie will ihren Mann sehen. Sie habe auch was mitgebracht. Darauf der SA-Mann: (Anm. d. Verf.) „Spielt sich nichts ab“ und hat das Fenster wieder zu gemacht. Meine Mutter hat aber keine Ruh gelassen und hat wieder geklopft. Es hat wieder ein Anderer rausgeschaut: „Na gut, wir holen ihn.“ Dann haben sie meinen Vater geholt und er durfte mal kurz durch das Fenster rausschauen. Dann haben wir ihm die mit gebrachten Sachen durchgereicht. (…) Diese wurden gleich von der SA in Empfang genommen. Die Sachen hat er aber bekommen. Das haben wir später erfahren. (…) Und daher kenne ich Sachsenburg. Das war, wie gesagt, die Nacht oder am Abend spät. Dann haben sie uns vielleicht 2-3 min Zeit gegeben (…) und haben ihn dann bei Seite geschoben und das Fenster wieder zu gemacht. Wir haben noch mal geklopft, aber es hat keiner mehr aufgemacht. Dann sind wir das ganze Tal bei strömendem Regen zurückgelaufen. Dann sind wir wieder ein Stück mit dem Bus gefahren, bis nach Chemnitz und sind wieder zu meines Vaters Schwester und dort haben wir noch mal übernachtet, um am nächsten Tag wieder nach Plauen zurück zufahren.”
aus: Mahnruf, Jahresschrift 2011, S. 71-72.

KZ Sachsenburg, Tor 1934
Aus dem Fotoalbum des Kommandanten Karl Otto Koch.
Quelle: Sammlung Stiftung Sächsische Gedenkstätten

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